o HOLOBIONTHEIM
Installation | November 2023
Das erste Projekt im Rahmen der Reihe WELT|STADT|RAUM
Thema
»Holobiont« ist ein wissenschaftlicher Begriff, der zum Ausdruck bringt, dass alle Lebewesen durch symbiotische Beziehungen existieren und als Ganzes zusammenleben. Die Eigenschaften eines Holobionten sind instabil; es gibt jedoch eine unaufhörliche Aushandlung, eine Art transformativen Dialog zwischen allen Organismen, Überlagerungen und Durchdringungen. Alle Bewohner haben eine miteinander verwobene Abstammungslinie des Lebens und Überlebens, einen Kontext, in dem sie »miteinander werden«. Ein gemeinsames »Heim«, eine gemeinsame Stätte des Zusammenseins. Ein Territorium - unsere Erde, Gaia.
Wir steuern unsere Erde auf Kipppunkte zu und stehen am Rande der Abbruchkante. Der Mensch weiß um den Zustand und ist eigentlich auch zuständig. Dennoch ergreift er nicht die notwendigen Maß-nahmen. Er weiß, aber vielleicht hat er nicht verstanden, er hat die Informationen, aber nicht die Erkenntnis, ist randvoll mit Wissen aber es mangelt ihm an Erfahrung. Wir drohen zu scheitern – auf ganzer Linie.
Es geht also auch ums Scheitern, denn eigentlich sollten doch alle ein Ziel vor Augen haben. Ziele schaffen Solitäre. Was außerhalb der Zielvorgaben liegt, gerät aus dem Blick, wird nebensächlich und ausgeblendet, ist nicht so wichtig, verliert an Wert und wird zum Kollateralschaden. Kann das Ziel nicht erreicht werden, liegt die Welt in Trümmern oder man steht vor dem Scherbenhaufen der eigenen Existenz - ein Scheitern auf der ganzen Linie. Was folgt ist eine Zeit der Neuorientierung und der Zielanpassung, denn ohne Ziele verliert das Leben seinen Sinn.
Was wäre, wenn Leben sich nicht an gesteckten Zielen orientieren müsste, sondern im Sinne einer ökologischen Wende sich der Blick weiten würde, für unsere Abhängigkeit von Marginalisiertem, Verdrängtem und Entwertetem, deren Bedeutung für das System wir nur in Betracht ziehen, wenn sein Verschwinden unabsehbare Kaskaden von Folgeerscheinungen nach sich zieht. Was wäre, wenn wir »Ziel« durch den Begriff »Atmosphäre« ersetzen würden. Denn es könnte ein Irrtum sein die Verschieden-artigkeit der Komponenten zu verdrängen, die das Leben ausmachen.
»Die Welt ist kein Raum, der sich durch die Ordnung der Dinge definiert, sondern viel eher durch das Klima der Einflüsse, die Meterologie der Atmosphären. Leben und Welt sind nur Bezeichnungen für die universelle Mischung, das Klima, die Einheit, die bloß nicht zur Verschmelzung von Substanz und Form geht. Ein Klima verstehen heißt, eine Atmosphäre begreifen.« Emanuele Coccia: Die Wurzeln der Welt
Bezogen auf ihren ontologischen Status sind Atmosphären unbestimmt. In ihnen durchkreuzt und vermischt sich alles was gegeben ist, es bilden sich immer neue Konglomerate. Subjekte, Objekte, Umgebungen, Erwartungen und Befürchtungen durchmischen sich. Atmosphären sind fluide, fragil, hochkomplex und uneindeutig und dennoch als Ganzes bestimmbar. Es gibt lebensfeindliche Atmosphären und lebensfreundliche und es gibt Kipppunkte in denen sich das eine in das andere verkehrt. Richtet man seine Aufmerksamkeit auf Atmosphären, kann es sein, dass man wahrnimmt, dass die eigenen Ziele den Kipppunkt befördern, der individuell in Beziehungen und in Gesellschaften
von einer lebenserhaltenden in eine zerstörende Atmosphäre führt und es stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis stehe ich zum Ganzen und bin ich im Zweifel bereit meine Ziele zu opfern.
Doch noch einmal zurück:
Der Earth Overshoot Day zeigt plastisch unser verschwenderisches Verhalten über unsere Verhältnisse. Die ansteigenden Kurven der Erderwärmung und des CO2-Ausstoßes verbildlichen unsere (selbst-) zerstörerische Lebensweise.
Wir brauchen ein neues planetarisches Verständnis: Ein Leben mit der kritischen Zone, der erdum-spannende dünne Film, nur wenige Kilometer dick, in der wir eingefügt, eingeschlossen sind, einge-klemmt als Teil von ihr. Sich zu emanzipieren heißt in diesem Sinne, nicht aus der Zone auszuscheren, sondern sich in ihre Verstrickungen, Falten, Überlagerungen, Verflechtungen, Verbauungen zu begeben und diese zu erkunden. Die Ausdehnung Gaias ist das sich ständig transformierende Lebewesen, das die (nationalstaatlichen) Formen von Souveränität und das schwache Zusammen der Internationalität zerlegt. Gaia umfasst alle Existierenden, die eine Familienähnlichkeit aufweisen, weil sie über einen gemeinsamen Ursprung verfügen und sich fast überall ausdehnen, verbreiten, vermischen, überlagern. Jeder Erdverhaftete erkennt in seinen Vorfahren die »Erbauer« seiner Wohnbedingungen die er nutzt. Unter Erde verstehen wir also die Akteure, lebenden Organismen und ihre Aktionen und Spuren, die sie hinterlassen haben. Die ständige Transformation der lebendigen Zone aller Lebwesen, die ihre Wohnbedingungen gestalten.
Siehe: Lynn Margulis, James Lovelock, Bruno Latour, Emanuele Coccia u.a.
Installation
Die Idee der Rauminszenierung, in der sich die Themen verbinden, verschieben, überlagern, verkanten, berühren … besteht derzeit als Skizze, an der in den nächsten Wochen und Monaten gearbeitet wird.
Ein raumgreifendes Kartenhaus bestehend aus vielfarbigen Zeichnungen auf 100 Leinwandkartons
– 50 x 50 cm - verschachtelt, verkeilt, aufgetürmt - ein fragiles Objekt, nahe am Kipppunkt.
Hineingebaut ist eine 8-Kanal Klanginstallation, die der Brüchigkeit, Fragilität Klang verleiht - zwischen Fieldrecordings und elektronischem Sound. Ein zweites quadrophonisches Klangarrangement umgibt das fragile Gebäude, ein Gewirr aus Stimmen und Klängen.
Ein großes mehrteiliges Bild (a. 320 x 180 cm) aus Fotografien hängt an der Wand und ist dennoch erdverbunden. Makroaufnahmen, dem Detail verhaftet und in Luft aufgelöst. Das Verschwinden des Ganzen, der Gesamtheit. Eine in Form gelegte Videoprojektion ergänzt, überlagert das Bild.